Eigentlich hatten wir keine Chance und keine Möglichkeiten. Heiner Faust, der damalige neue Geschäftsführer von BMW Motorrad in Deutschland, erklärte mir nach sechs Monaten im Amt, dass es so viele Baustellen gebe und es unmöglich erscheine, das Blatt zu wenden. Zu diesem Zeitpunkt drehte sich eine elf Jahre andauernde Abwärtsspirale im deutschen Markt. Und alle schienen sich damit abgefunden zu haben. Er hatte das Gefühl, unweigerlich zu scheitern.
Und am Ende hatte er nur vier Jahre Zeit. Das war die durchschnittliche Verweildauer eines Managers in seiner Position. Was soll man in vier Jahren tun, wenn in dieser Zeit die Produkte dieselben blieben? Die Preise. Die Händler. Und auch die Entwicklung. Es fühlte sich an, als ob man in den Bus steigt, vier Stationen mitfährt und dann wieder aussteigt.
So kamen wir auf die Idee: Wenn der Motorrad-Händler morgens nur 10 % motivierter, zuversichtlicher und überzeugter seinen Laden öffnet – was für einen Impact würde das wohl auf den Umsatz haben? Denn das war das Einzige, was wir kurzfristig ändern konnten. Das Verhältnis zum Handel war stark belastet. Deshalb war das unser erster Schachzug. Wir begaben uns auf die „We will rock you“-Tour zu den Motorrad-Händlern. Mit den Motorrädern fuhren wir über 5.000 km quer durch Deutschland und besuchten – in Gruppen von 10 bis 15 Händlern – alle Händler.
Wir hatten nichts dabei. Keine PowerPoint, kein Excel. Unsere Idee war es, dass auf dieser Deutschland-Tournee eine Deutschland-Strategie entstehen würde. Man muss nur denen zuhören, die da stehen, wo der Markt sich entscheidet. Und genau so kam es. Mit jedem Termin wurden wir schlauer.
Und wir erkannten ein zentrales Problem: Der Grund, Motorrad zu fahren, war abhandengekommen. Zu gefährlich. Zu aufwendig. Zu warm. Zu teuer. Das wichtige Primärbedürfnis, das einen Kaufgrund liefert, war verloren gegangen. Motorradfahren galt einmal als bewusst gefährlich. Es war ein Zeichen dafür, dass man sich nicht zum Establishment zählte. Es war politisch unkorrekt. Mit dem Film Easy Rider war der Grund, warum man Motorrad fährt, auf Zelluloid gebrannt.
Die ganze Idee des Motorradfahrens beruhte auf dem Gedanken: „Fuck you.“ Und nun war das Motorrad in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es war akzeptiert. Nichts mehr daran war rebellisch. Es war eher eine Idee aus einer alten Zeit. Die Gründe waren abhandengekommen. Somit stiegen viele um – auf ein Cabrio oder eine Variante mit möglichst viel Hubraum.
Der „Che-Guevara-Grund“ war nicht mehr da. Ältere, untersetzte, heimlich Rockmusik hörende, in der Midlife-Crisis steckende, eher betuchte Herren fuhren noch Motorrad. Somit war meine Aufgabe definiert: Ich musste ein neues Primärbedürfnis entdecken, das die wichtigsten Fragen nach dem „Why“ beantwortet. Sonst würden wir die Abwärtsspirale nicht aufhalten können.
Und nach dem zehnten Händler-Treffen stand sie plötzlich da – die Idee, die alles verändern würde. Sie lag förmlich auf der Straße. Man musste sie nur sehen. Sie stand die ganze Zeit direkt vor uns. Und dann habe ich sie gesehen: Let’s ride together. Zusammen Motorrad fahren. Weg vom „Lonesome Rider“-Image, hin zur Community. Gemeinsam fahren. Mit Freunden, Bekannten, mit anderen Motorradfahrern. Eine Gemeinschaftsaktion daraus machen. Die Leute fahren zusammen Ski, Fahrrad, sie joggen und wandern gemeinsam – immer mehr Aktivitäten sind darauf ausgerichtet, sie zusammen zu tun. Warum also nicht auch Motorradfahren?
So entwickelten wir – neben der Deutschland-Strategie – mit den Händlern zusammen das neue Primärbedürfnis. Sogar eine Online-Plattform entstand: LERITO. Aber leider gab es zu wenig Budget und zu wenig Support. Eine Idee, die ihrer Zeit weit voraus war. Aber um diese Idee entstand genau diese „Together-Community“, die alle mitriss – die Händler, die Mitarbeiter, die Kunden. Und siehe da: Nach nur zwei Jahren Umsetzung der Deutschland-Strategie kam der negative Trend zum Stillstand und drehte sich in einen positiven Trend um. Jahre des Wachstums folgten.
Was verrückt an dieser Erfolgsgeschichte ist, war eine Erfahrung, eine Erkenntnis, die ich machen konnte: Für die Mitarbeiter bedeutet Erfolg mehr Arbeit, mehr Verantwortung, mehr von allem. Wir dachten, die flippen aus – nach elf Jahren Niedergang einem solchen Aufstieg beizuwohnen. Aber so war es leider nicht. Ich, besonders, war anstrengend, machte Arbeit und war süchtig nach Erfolg. Aber die meisten Leute dachten: Geh mir nicht auf den Sack. Das war eine wichtige Erfahrung für mich.
Meine Ziele sind nicht die Ziele anderer. Meine Bedürfnisse sind nicht dieselben. Ich dachte bis dahin immer, dass Erfolg „geil“ sei. Aber ich musste erkennen, dass es andere Blickwinkel gibt. Und so habe ich es immer wieder angetroffen: Die einen wollen Erfolg, viele wollen einen ruhigen Job. Und dazwischen gibt es ein paar, die auch den Erfolg suchen. Es gibt viele, die wollen pünktlich zu Hause sein. Und das muss man akzeptieren und respektieren.
Nicht alle identifizieren sich mit Erfolg. Mit der Arbeit. Und mit dem, was da dranhängt. Die meisten wollen zwar auch Erfolg – aber ohne Überwindung und ohne Anstrengung.
Aber das Positivste zum Schluss: Jahre später lud mich Heiner zu einem BMW-Motorrad-Händlertreffen in Berlin ein. Er, als weltweiter Motorrad-Chef, war eingeladen (aus vier Jahren wurden übrigens acht). Ich war zu der Zeit in Berlin bei Teufel tätig, erklärte mich aber gerne bereit zu kommen. Den einen oder anderen würde man eventuell wiedertreffen. So traten wir ein – in ein BMW-Autohaus am Ku’damm – und alle BMW-Motorrad-Händler aus Deutschland waren da. Jahre später. Und erwachsene Männer mit Tränen in den Augen lagen sich in den Armen. Ich kann mich nicht erinnern, bis dahin so viel Wertschätzung bekommen zu haben für das, was wir geleistet haben. Es war fantastisch. Damit hatten wir nicht gerechnet.
Die Händler sagten uns: Das war in all den Jahren die geilste Zeit ever. Und es war vorbei, als wir uns verabschiedeten. Und in der Erinnerung der Händler war es die beste Zeit als BMW-Motorrad-Händler. Heiner und ich waren echt bewegt und gerührt. Damit hatten wir wirklich nicht gerechnet.
Es gäbe noch viel zu erzählen – von Streichhölzern, einer Bewegung namens „Move“ und vielen Neuerungen, Veränderungen und Anpassungen – aber das würde den Rahmen hier sprengen. Und vom Umfang her eher ein Buch werden.
Fasst man alles zusammen, kann man sagen: Es gibt immer einen Weg. Wenn die Richtigen mitgehen.